Längst ist der Lohn nicht mehr Hauptkriterium bei der Jobwahl – insbesondere bei der jungen Generation. Worauf es ankommt, weiss Kathrin Neumüller, Expertin für Mitarbeiterbefragungen beim Schweizer Marktforschungsinstitut ValueQuest.

Das Interview führte Dominique Simonnot (Veröffentlichung am Mittwoch, 3. April 2024 in der Aargauer Zeitung, CH Media)

Frau Neumüller, was ist ausschlaggebend, um Mitarbeitende zu motivieren und im Unternehmen zu halten?

Eine Vielzahl von Faktoren kommt da ins Spiel: u.a. die Aufgabenvielfalt, Aufstiegschancen und ein angemessenes Belastungsniveau. Doch wirklich entscheidend für die langfristige Bindung und die Mitarbeitermotivation sind die Qualität der Führung und die Unternehmenskultur, welche kulturelle wie immaterielle Werte berücksichtigt. Die Übereinstimmung persönlicher Werte mit denen des Arbeitgebers, Wertschätzung, offene Kommunikation und Respekt gegenüber den Mitarbeitenden als Menschen wiegen oft schwerer als das Gehalt. Das heisst jedoch nicht, dass das Gehalt unwichtig ist. Es ist vielmehr ein Grundbedürfnis.

Trägt sonst noch was zur Motivation bei?

Die Motivation hängt zudem von einer Vielzahl demographischer Faktoren ab. Beispielsweise dem Dienstalter. In der Regel beginnen Mitarbeitende sehr motiviert in einem neuen Job, weil viele Aufgaben neu sind und weil sie mehr Aufmerksamkeit erfahren. Aber nach etwa zwei Jahren im selben Betrieb nimmt die Motivation tendenziell ab.

Gibt es Unterschiede zwischen den Generationen?

Unsere Mitarbeiterbefragungen zeigen, dass Mitarbeitende unter 30 Jahren tendenziell weniger motiviert sind. Doch diese jüngeren Mitarbeitenden als arbeitsscheu oder gar faul zu bezeichnen, wäre ungerecht. Vielmehr deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass eben herkömmliche Anreize wie Lohnsteigerungen oder Karrierechancen, die noch bei den Baby-Boomers wirksam waren, hier ihre Wirkung verfehlen. Jede Generation hat andere Bedürfnisse und Erwartungen. Um diesen gerecht zu werden, sollten wir Führung und Mitarbeitermotivation neu denken.

Gerade Jüngeren ist ihre Gesundheit wichtiger. Wie können Arbeitgeber dazu beitragen?

Es gibt viele Möglichkeiten: Angefangen bei gesunden Mahlzeiten in der Kantine über die Bereitstellung von Stehtischen bis hin zu Sportwettbewerben. Doch Gesundheit umfasst mehr als nur das körperliche Befinden. Das geistige Wohl ist genauso wichtig. Gerade Letzteres hat in jüngster Zeit allerdings gelitten. Immer mehr Arbeitnehmende leiden unter Stress und emotionaler Belastung und bleiben deshalb häufiger der Arbeit fern. Unter den 30-Jährigen ist schon fast jeder zweite einmal wegen emotionaler Belastung ausgefallen – so eine Studie der CSS.

Das ist verheerend. Inwiefern sind hier Resilienz-Workshops und Stress-Coachings die Lösung?

Meines Erachtens lenken Resilienz-Workshops von der eigentlichen Problematik ab und wälzen die Verantwortung auf die Mitarbeitenden ab. Die Verantwortung für stressbedingte Fehlzeiten liegt nicht nur bei den Mitarbeitenden. Oft entsteht Stress am Arbeitsplatz. Unternehmen müssen aktiv werden und für die Überlastung der Mitarbeitenden Verantwortung übernehmen.

Was können Unternehmen tun?

Ein wichtiger Beitrag zur Gesundheitsförderung ist die Schaffung einer gesunden Unternehmenskultur. Wir müssen uns davon lösen, Stress und emotionale Erschöpfung herunterzuspielen oder gar gutzuheissen. In manchen Kreisen hat sich Stress zum Statussymbol entwickelt. Ist eine Person gestresst, so gilt sie als wichtig. In Unternehmen, wo dies der Fall ist, ist es schwierig, gleichzeitig eine gesundheitsfördernde Kultur zu etablieren.

Wie könnte ein gesundheitsfördernder Führungsstil aussehen?

Führungskräfte sollten eine Kultur unterstützen, in der sich Mitarbeitende ermutigt fühlen, frühzeitig zu kommunizieren, wenn sie überfordert sind. So können Ausfälle durch Burnout vermieden werden. Am Ende ist eine Haltung der Wertschätzung und des Wohlwollens das Wichtigste für die Gesundheit der Mitarbeitenden: Es geht darum, Mitarbeitende nicht nur als Arbeitskräfte zu sehen, sondern als Menschen, sie ernst zu nehmen und sie auf Augenhöhe zu behandeln. So einfach diese Prinzipien klingen mögen, so herausfordernd sind sie in der Umsetzung für viele Unternehmen.

Nicht unwichtig ist aber auch die Sinnhaftigkeit in einem Job.

Nicht alle Menschen suchen zwangsläufig einen höheren Sinn in ihrer Arbeit. Viele gehen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn der Lohn nicht stimmt, ist der Sinn unwichtig. Daneben kreist die Diskussion rund um Sinnhaftigkeit ja oft um hochqualifizierte Bürojobs. An der HSG habe ich mehrere Jahre darüber geforscht, ob und wie z.B. Filialmitarbeitende im Detailhandel Inspiration und Sinnhaftigkeit erleben. Gerade das Einräumen von Regalen oder das Kassieren mag auf den ersten Blick monoton erscheinen – für manche sogar sinnbefreit. Doch das stimmt so nicht.

Warum nicht?

Ich erinnere mich an ein Interview mit einer Kassiererin von Coop, die den Kundenaustausch an der Kasse als inspirierend empfand. Inspiration und Sinnhaftigkeit beginnen bei uns selbst. Jeder nimmt sie anders wahr. Eine unterstützende Führungskraft, der Kontakt zu Kunden und ein empowerndes Arbeitsumfeld, können Inspiration fördern.

Wie wichtig ist Kaffee in einem Unternehmen?

Als begeisterte Kaffeetrinkerin sage ich natürlich: Sehr wichtig. Doch Spass beiseite. Es geht hier nicht um den Kaffee an sich. Es dreht sich vielmehr um das, was er symbolisiert – Wertschätzung und sozialen Austausch. Feste Kaffeepausen bieten einen wichtigen Rahmen für den persönlichen Austausch mit den Arbeitskollegen und stärken so den Teamgeist. Ich würde sogar so weit gehen, zu raten, dass Kaffee als Zeichen der Wertschätzung des Arbeitgebers gratis sein sollte – eine scheinbar kleine, aber bedeutsame Geste.

Kann man die 4-Tage Woche einführen, ohne dass der Mitarbeitende erst recht unter Druck gerät?

4-Tage-Woche ist nicht gleich 4-Tage-Woche. Im Kern gibt es zwei Ansätze: Zum einen die Reduktion der Arbeitswoche von fünf auf vier Tage, ohne die Gesamtstunden zu verringern. Das führt unweigerlich zu längeren Arbeitstagen. Zum anderen die eigentliche Reduktion der Gesamtarbeitszeit, bei der die Mitarbeitenden effektiv nur vier Tage arbeiten, ohne eine Kompensation des „verlorenen“ Tages. Bei letzterem Ansatz würde sich die Wochenarbeitszeit beispielsweise von 40 auf 32 Stunden reduzieren – jedoch mit gleichbleibendem Lohn.

Teilen Sie die Bedenken der Arbeitgeber, dass das Unternehmensergebnis unter der 4-Tage-Woche leiden könnte?

Diese Bedenken sind nachvollziehbar. Aber Pilotprojekte auf Island zeigen ein anderes Bild: Eine verkürzte Arbeitszeit muss nicht zwangsläufig zu weniger Mitarbeiterproduktivität oder Leistung führen. Im Gegenteil, die 4-Tage-Woche nach dem zweitgenannten Ansatz erfordert eine Anpassung der Arbeitsabläufe, beispielsweise durch kürzere und zielgerichtetere Meetings, eine Reduktion von Leerlaufzeiten und einen effizienteren E-Mail-Verkehr. Das Parkinsonsche Gesetz liefert hierfür eine Erklärung: Aufgaben brauchen so viel Zeit, wie wir ihnen geben. Setzen wir ein Meeting für eine Stunde an, so wird es auch eine Stunde brauchen.

Was braucht es für Rahmenbedingungen?

Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) sollten darauf achten, dass die strategische Planung nicht unter der reduzierten Arbeitszeit leidet. Oft sind gerade hier die Geschäftsführung und leitende Angestellte stark in das operative Geschäft eingebunden, wodurch strategische Entscheidungen, die nicht den gleichen Grad an Dringlichkeit wie das Tagesgeschäft aufweisen, vernachlässigt werden könnten. Auch liegt die Herausforderung darin, nicht nur die Arbeitszeit zu reduzieren, sondern auch einen Kulturwandel in der Arbeitsgestaltung zu vollziehen. Durch eine Straffung der Abläufe, wie beispielsweise effizientere Meetings, eine gezielte E-Mail-Kommunikation und die aktive Einbindung der Mitarbeitenden in Prozessverbesserungen, kann die Arbeitszeit effizienter genutzt werden.

Beitrag veröffentlicht am 11. April 2024

Über Barbara Haimoff
Barbara Haimoff verantwortet bei ValueQuest die Projektleitung im Bereich 360° Feedback und das Office Management. Sie ist Kauffrau EFZ mit Abschluss der Wirtschaftsschule KV Baden und bringt Organisationstalent sowie Kundennähe in jedes Projekt ein.

Barbara Haimhoff ist Office Managerin bei ValueQuest und sorgt für einen reibungslosen Ablauf im Tagesgeschäft. Sie hat die Wirtschaftsschule KV Baden abgeschlossen und ist ausgebildete Kauffrau EFZ mit langjähriger Berufserfahrung in Administration und Organisation.

Inspiriert? Dann teilen Sie diesen Beitrag über Ihre bevorzugte Plattform.

Jetzt zum ValueQuest-Newsletter anmelden

Bleiben Sie informiert und auf dem Laufenden.

  • Aktuelle HR-Trends und -Themen
    Bleiben Sie auf dem neuesten Stand mit spannenden Blogartikeln und Experten-Interviews.

  • Praktische Tipps und Tricks
    Erhalten Sie wertvolle Praxistipps aus den Bereichen HR und Recruiting.

  • Exklusive Ressourcen
    Zugang zu Checklisten und Leitfäden, die Ihnen im Alltag weiterhelfen.

Unser Versprechen:

  • Qualität statt Quantität: Unser Newsletter erscheint nur alle zwei Monate.
  • Relevante Inhalte: Wir bieten Ihnen wertvolles Expertenwissen, das Ihnen wirklich weiterhilft.
  • Community-Fokus: Seien Sie Teil einer engagierten HR-Community.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten ...

  • Älterer Mann mit grauem Bart sitzt auf einer Parkbank und liest eine Zeitung – Symbolbild für Medienresonanz auf Arbeitsplatzstudie.

    Inspirierende Arbeitsplätze: Unsere Umfrage zu Schweizer Arbeitsplätzen im BLICK

    16. Mai 2025

    Lesezeit: 1 min

    Die Ergebnisse unserer neuen Arbeitsplatzstudie haben nicht nur bei unserem Webinar für Aufmerksamkeit gesorgt, sondern auch in den Medien. Der Wirtschaftsredaktor Michael Hotz von der Zeitung Blick hat...

  • Schmetterling hängt an Kokons – Sinnbild für persönliche und organisationale Transformation durch Inspiration.

    Inspiration als Produktivitätsfaktor: Neue Arbeitnehmerstudie zeigt Defizite in Schweizer Unternehmen

    13. Mai 2025

    Lesezeit: 13 min

    Mitarbeitende inspirieren bedeutet, sie für den Wandel in disruptiven Zeiten zu begeistern. (Bild: Pexels) Produktivität durch Inspiration: Schweizer Unternehmen lassen grosses Potenzial ungenutzt. Laut unserem neuen „Inspiring...

  • So gelingt deine Mitarbeiterbefragung: Mit erprobten Vorlagen, den besten Fragen, einer hilfreichen Checkliste und praktischen Tipps für mehr Engagement und echte Ergebnisse.

    Mitarbeiterbefragungen: Vorlagen, Fragen, Tipps und Checkliste 

    30. April 2025

    Lesezeit: 10 min

    Vom Fragebogen zur Veränderung. Mitarbeiterbefragungen sind nur dann wirksam, wenn Taten folgen. (Bild: Pexels) Rund 80 % der grossen und mittelständischen Unternehmen (KMU) führen regelmässig Mitarbeiterbefragungen durch,...

  • Ein niedlicher humanoider Roboter sitzt an einem Schreibtisch in gemütlicher Atmosphäre und schreibt mit einem Stift an einem Lebenslauf (CV). Im Hintergrund Bücherregal, Lampen und Kerzenlicht. Symbolbild für künstliche Intelligenz im Bewerbungsprozess.

    Künstliche Intelligenz als Spielveränderer im Recruiting

    14. April 2025

    Lesezeit: 9 min

    Diskriminative KI-Modelle, die sich auf die Klassifizierung und Analyse von Daten konzentrieren, sind seit längerer Zeit in der Forschung und in praktischen Anwendungen etabliert. So auch im Personal-...

  • Anschreiben und Lebensläufe werden oftmals nicht mehr selbst, sondern mithilfe von ChatGPT, Google Bard und Co erstellt. Auch dieses Bild wurde mithilfe von KI generiert. Quelle: PD

    Chancen und Risiken von KI für die Personalsuche

    27. Januar 2025

    Lesezeit: 6 min

    Für Personalerinnen und Personaler ist künstliche Intelligenz (KI) ein zweischneidiges Schwert. Ersetzen Algorithmen künftig Erfahrung und Bauchgefühl bei der Selektion von Talenten? Und: Wie kann dabei verhindert werden,...

  • Kreide-Zeichnung einer Gedankenblase auf schwarzer Tafel mit integrierter Glühbirne – symbolisiert Kreativität, neue Impulse und lösungsorientiertes Denken, wie es ValueQuest in seinen datenbasierten Analyseprozessen fördert.

    Nur so können Sie Empowerment richtig umsetzen!

    15. Oktober 2024

    Lesezeit: 4 min

    Empowerment ist mehr als nur ein „Buzzword“ – es ist ein entscheidender Faktor für den Unternehmenserfolg. Es fördert eigenverantwortliches Handeln und innovatives Denken bei den Mitarbeitenden. Doch wie...

  • Symbolbild für Teamspirit und Kooperation – mehrere Hände verschiedener Personen vereint über Geschäftsdokumenten und Laptop. Steht für die partnerschaftliche Zusammenarbeit und vertrauensvolle Umsetzung von Projekten bei ValueQuest.

    Nur so funktioniert Empowerment!

    14. Oktober 2024

    Lesezeit: 4 min

    Empowerment nimmt sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmende in die Pflicht. Eine Seite der Medaille ist, dass Arbeitgeber:innen bereit sein müssen, ihre Mitarbeitenden zu empowern. Die andere Seite der...

  • Engagierte Teilnehmende bei einer Veranstaltung – mit Abstimmgeräten, Lächeln und Austausch. Dieses Bild steht für die aktive Mitgestaltung, Wertschätzung und Freude, wie sie ValueQuest in Feedbackprozessen lebt.

    Mitarbeitende empowern – was zählt, ist die Wahrnehmung der Mitarbeitenden

    14. Oktober 2024

    Lesezeit: 2 min

    Empowerment gilt als Schlüssel zur Steigerung von Motivation, Innovation und Produktivität. Wie wirksam können Empowerment-Massnahmen wirklich sein, wenn Mitarbeitende sie als Farce wahrnehmen?  Während strukturelle Massnahmen wichtig sind,...

  • Ein diverses Team im Meeting – mit Laptops, Tablets und Handschlag. Dieses Bild steht für moderne Kollaboration, hybride Arbeitsformen und gelebte Partnerschaft. Genau so fördert ValueQuest Vertrauen und Effizienz in Transformationsprozessen.

    Mitarbeitende empowern – unternehmerisches Handeln aller stärken!

    14. Oktober 2024

    Lesezeit: 4 min

    Rund 80 % der Mitarbeitenden in Schweizer Unternehmen schöpfen nicht ihr volles Potenzial aus und bleiben in puncto Produktivität, Leistung und Motivation unter ihren Möglichkeiten – so die...