Rund 80 % der Mitarbeitenden in Schweizer Unternehmen schöpfen nicht ihr volles Potenzial aus und bleiben in puncto Produktivität, Leistung und Motivation unter ihren Möglichkeiten – so die jüngste Gallup-Studie (2024). Doch wie können Unternehmen das ändern? Die Antwort liegt im Empowerment.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass einst charismatische Führungspersönlichkeiten wie Nicolas Hayek die Geschicke ganzer Industrien lenkten. Hayek führte die Schweizer Uhrenindustrie in den 1980er Jahren mit visionärer und charismatischer Führung aus der Krise und machte die Swatch Group zu einem weltweiten Erfolg. Doch die Zeiten des „Great-Man“-Führungsstils, bei dem alles von einer starken Führungspersönlichkeit abhängt, sind längst vorbei.

In der heutigen, komplexen Weltwirtschaft sind Unternehmen auf das aktive Mitdenken und die Eigeninitiative all ihrer Mitarbeitenden angewiesen. Während früher die Ideen primär vom Topmanagement kamen und dann von den Mitarbeitenden umgesetzt wurden, entstehen heute viele wertvolle Ideen direkt in den operativen Bereichen, zum Beispiel durch den direkten Kundenkontakt. Hier setzt das Prinzip des Mitarbeiterempowerments an. Es schafft den Rahmen, in dem Mitarbeitende aller Ebenen und Funktionen dazu motiviert werden, ihre Ideen einzubringen und eigenverantwortlich zu handeln.

Was ist Empowerment?

Empowerment bedeutet, Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit selbstständig und kreativ zu gestalten, anstatt starr nach Vorschrift zu arbeiten. Viele Studien zeigen, dass empowerte Mitarbeitende innovative Ideen entwickeln, was die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erhöht.

Das Konzept des Empowerments trägt auch den veränderten Erwartungen der modernen Arbeitswelt Rechnung. Empowerment ist ein zentrales Element einer zeitgemässen Führungsphilosophie – es sorgt dafür, dass Mitarbeitende ihre Arbeit als sinnstiftend und bereichernd empfinden. Die Rolle von Führungskräften verändert sich dadurch: Weg vom Kontrollieren, hin zum Befähigen.

Potenzialentfaltung durch Empowerment

Die Formel zur Potenzialentfaltung lässt sich einfach zusammenfassen: Potenzial = Fähigkeiten x Wille x Empowerment. Das volle Potenzial eines fähigen und motivierten Mitarbeitenden kann sich nur in einem Umfeld entfalten, das diese Entfaltung ermöglicht. Empowerment schafft diese notwendige Umgebung, indem es den Mitarbeitenden die Möglichkeiten gibt, die sie brauchen.

Missverständnisse vermeiden: Mehr Entscheidungsfreiraum ist nicht genug

Oft wird der Begriff „Empowerment“ missverstanden und als Entscheidungsfreiraum interpretiert. Doch Empowerment ist komplexer. Mehr Entscheidungs- und Gestaltungsfreiraum allein führt nicht automatisch zu motivierteren und produktiveren Mitarbeitenden. Stattdessen muss das Arbeitsumfeld so gestaltet werden, dass Mitarbeitende ihr volles Potenzial entfalten können.

Um echtes Empowerment zu erreichen, müssen vier Hebel im Arbeitsumfeld zusammenspielen. Neben Entscheidungs- und Gestaltungsfreiraum spielen auch Anreize, Informationstransparenz und Ressourcen eine entscheidende Rolle. Dazu gehören nicht nur zeitliche Ressourcen, sondern auch qualifiziertes Feedback, Rat und die Bereitschaft von Kolleg:innen und Vorgesetzten. Diese Elemente müssen gemeinsam wirken, damit Empowerment den gewünschten Effekt hat. Diesen Ansatz nennen wir «strukturelles Empowerment», denn der Fokus liegt auf der Gestaltung von Organisationsstrukturen.

Vier Hebel des strukturellen Empowerments

  1. Zugang zu Informationen und Informationstransparenz: Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeitenden relevante Informationen haben, um ihre Aufgaben effektiv erfüllen zu können. Fördern Sie die Kommunikation und Informationstransparenz durch interne Kommunikationssysteme wie Intranet-Portale und regelmässige Meetings.
  2. Entscheidungsfreiheit und Autonomie: Erlauben Sie Ihren Mitarbeitenden, in einem festgesetzten Rahmen Entscheidungen zu treffen. Eine dezentrale Entscheidungsstruktur ermöglicht es ihnen, Projekte eigenverantwortlich zu leiten oder Budgetentscheidungen zu treffen, allerdings innerhalb klar definierter Leitplanken.
  3. Ressourcen: Bieten Sie die notwendigen Ressourcen, um ihre Aufgaben erfolgreich zu erfüllen. Organisieren Sie Schulungs-, Mentoring- und Weiterbildungsprogramme, um die Fähigkeiten der Mitarbeitenden zu entwickeln.
  4. Anreize: Setzen Sie finanzielle Belohnungen wie Boni und nicht-monetäre Anreize wie Anerkennung, Beförderungen oder Entwicklungsmöglichkeiten ein. Leistungsbezogene Belohnungssysteme basierend auf Teamleistungen sind ein gutes Beispiel.

Empowerment ist mehr als nur ein Schlagwort. Es ist ein umfassendes Konzept, das eine sorgfältige Gestaltung der organisationalen Rahmenbedingungen erfordert. Indem Unternehmen ihren Mitarbeitenden nicht nur Entscheidungsfreiraum, sondern auch Zugang zu Informationen, Ressourcen und gezielte Anreize bieten, schaffen sie eine Umgebung, in der Eigenverantwortung und Kreativität gedeihen können. Dies führt nicht nur zu einer Steigerung der Produktivität, sondern auch zu einer stärkeren Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrer Arbeit und dem Unternehmen.

Tipp – Vermeiden Sie diesen Fehler bei der Umsetzung von Empowerment: Entscheidungsfreiheit allein reicht nicht aus

Ein häufiger Irrtum bei der Einführung von Empowerment ist die Annahme, dass es lediglich um die Gewährung von Entscheidungsfreiheit geht. Tatsächlich ist Empowerment jedoch weit mehr. Es erfordert ein umfassendes Verständnis der vier grundlegenden Hebel des strukturellen Empowerments: Zugang zu relevanten Informationen, Entscheidungsfreiheit, Bereitstellung von Ressourcen und gezielte Anreize. Überprüfen Sie, ob all diese Elemente in Ihrem Unternehmen vorhanden sind. Ein einfacher Fragebogen kann Ihnen dabei helfen, Lücken zu identifizieren. Bedenken Sie: Empowerment entfaltet nur dann seine volle Wirkung, wenn alle vier Bereiche gleichermassen berücksichtigt und implementiert werden.

Dieser Artikel wurde am 5. September 2024 im HR-Magazin Penso publiziert. Es ist der erste Beitrag einer vierteiligen Serie.

Beitrag veröffentlicht am 14. Oktober 2024

Über Dr. Kathrin Neumüller

Dr. oec. HSG Kathrin Neumüller ist Co-Geschäftsführerin bei ValueQuest und Expertin für Mitarbeiterinspiration und Empowerment. Daneben unterrichtet sie im MAS Business Administration strategisches Management und Marketingmanagement. Sie promovierte an der Universität St. Gallen (HSG) und verfügt über einen Master of Philosophy (M.Phil.) der University of Cambridge.

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