Gute Führung bedeutet ehrliches Interesse an den Mitarbeitenden

Unsere Projektleiterin Kathrin Neumüller hat sich mit Stefan Regli, Leiter Brief und Paket national der Schweizerischen Post (Post CH AG), zum Thema «Gute Führung» ausgetauscht.

Stefan Regli verantwortet derzeit rund 400 Mitarbeitende und verfügt über mehr als 25 Jahre Führungserfahrung in Grosskonzernen. Zudem ist er Vizepräsident der GS1 Switzerland, dem Fachverband für nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke.

Gute Führung

Kernaussagen:

  • Eine konstruktive Feedbackkultur bedeutet, dass Feedback hierarchieübergreifend gegeben, aktiv eingefordert und zugelassen wird. Es beinhaltet sowohl Rückmeldungen zur Leistung (Feedback) als auch zukunftsorientierte Verbesserungsvorschläge (Feedforward).
  • Eine gesunde Fehlerkultur erfordert ein positives Menschenbild, bei dem Fehler nicht als absichtliche Handlungen betrachtet werden. Fehler sollten als Möglichkeit zur Verbesserung gesehen und nicht ausschließlich negativ interpretiert werden.
  • Gute Führungspersönlichkeiten zeigen ein aufrichtiges Interesse an ihren Mitarbeitenden, nicht nur in Bezug auf die Arbeit, sondern an ihnen als Menschen.
  • Generative KI wird Berufe verändern, aber diese nicht zwangsläufig überflüssig machen. Die Bedeutung von Empathie und sozialen Fähigkeiten (in der Führung) könnte sogar zunehmen, während KI vermehrt analytische Aufgaben übernimmt. Es wird eine neue Form der Führung erforderlich werden, welche die gezielte Integration von KI in Geschäftsprozesse beinhaltet.
  • Unternehmen sollten sich verstärkt darauf konzentrieren, Mitarbeitende zu finden, die zur Unternehmenskultur passen und die Fähigkeiten und Kompetenzen der Bewerber:innen zukunftsorientiert betrachten. Die Rekrutierung von Mitarbeitenden sollte weniger rollen- und mehr personenbasiert sein, um die knappe Ressource Mensch optimal zu nutzen. Wenn zukünftig Funktionen überflüssig werden und sich Anforderungsprofile ändern, kann der / die Mitarbeitende in einer anderen Rolle eingesetzt werden.

Kathrin Neumüller: Was bedeutet für Dich gute Führung, Stefan?

Stefan Regli: Für mich bedeutet gute Führung, dass sich die Mitarbeitenden an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, dass sie Spass am Inhalt der Tätigkeiten haben und motiviert sind. Dies sind klare Indikatoren dafür, dass Führungskräfte ihre Aufgaben erfüllen. Das Wohlbefinden am Arbeitsplatz wird durch eine Reihe von Schlüsselfaktoren beeinflusst, darunter eine positive Fehlerkultur sowie eine transparente Informations- und Feedbackkultur.

Kathrin Neumüller: Wie definierst Du eine gute Fehlerkultur und eine gute Feedback-Kultur?

Stefan Regli: Eine gesunde Feedbackkultur bedeutet, dass sich Mitarbeitende aktiv und konstruktiv ein «Feedback» sowie ein «Feedforward» geben, indem sie Vorschläge für Verbesserungen machen und das über alle Hierarchieebenen hinweg. Es ist wesentlich, dass Feedback nicht nur gegeben, sondern auch aktiv eingefordert und akzeptiert wird. Was die Fehlerkultur angeht, so lebe ich nach einem persönlichen Credo: Niemand macht absichtlich Fehler. Fehler sind natürliche Bestandteile unserer Arbeit. Das bedeutet, dass insbesondere Führungspersonen ein positives Menschenbild haben sollten. Genauso wie wir Erfolge als Team feiern, sollten wir Fehler als gemeinsame Lerngelegenheiten betrachten. Was genau ein Fehler ist, ist Interpretationssache. Der Begriff „Fehler“ ist negativ konnotiert, obwohl Fehler auch positiv gesehen werden können, denn sie zeigen Verbesserungspotential auf.

Feedback

  • Feedback bezieht sich in der Regel auf Rückmeldungen oder Beurteilungen zu bereits erledigten Aufgaben und Leistungen in der Vergangenheit.
  • Der Schwerpunkt liegt darauf, zu reflektieren, was gut lief oder was verbessert werden könnte.
  • Feedback ist retrospektiv, also auf die Vergangenheit gerichtet, und hilft dem Empfänger, aus Erfahrungen zu lernen und künftige Leistungen zu verbessern.

Feedforward:

  • Feedforward ist zukunftsorientiert und konzentriert sich auf Lösungen und Möglichkeiten für zukünftige Aufgaben oder Verhaltensweisen.
  • Es handelt sich um Vorschläge, Ratschläge oder Empfehlungen, die darauf abzielen, zukünftige Leistungen zu optimieren.
  • Im Gegensatz zum Feedback fokussiert sich Feedforward auf zukünftige

Stefan Regli: Damit sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wirklich wohlfühlen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass man als Führungskraft ein aufrichtiges Interesse an ihnen hat. Gute Führungspersonen interessieren sich nicht nur für den Inhalt der Tätigkeit und für die Zahlen der Unternehmen. Entscheidend ist auch das Interesse an den Mitarbeitenden selbst, welche die Unternehmung voranbringen. Dieses echte Interesse wird von den Mitarbeitenden gespürt und trägt massgeblich zu einer positiven Arbeitsatmosphäre bei. Eine gute Führungsperson zeichnet sich zudem durch ihre Fähigkeit aus, Unterstützung in schwierigen und herausfordernden Situationen zu bieten. Gleichermassen sollten Führungspersonen eine klare Richtung vorgeben und die Mitarbeitenden inspirieren, sich gemeinsam für die Erreichung dieser Ziele einzusetzen.

Kathrin Neumüller: Du sprichst von Unterstützung in schwierigen Situationen. Beziehst Du Dich in dieser Hinsicht auf beruflich schwierige Situationen oder beziehst Du Dich auch auf privat schwierige Situationen, in denen Du Deine Mitarbeitenden unterstützt. Sind es für dich zwei verschiedene Welten?

Stefan Regli: Für mich verschwimmen die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Beruflichen. Natürlich gibt es bestimmte Grenzen, die man als Führungskraft nicht überschreiten sollte. Jedoch beeinflussen persönliche Probleme oft auch die berufliche Leistungsfähigkeit. Wenn ich als Vorgesetzte:r in der Lage bin, meinen Mitarbeitenden bei privaten Herausforderungen zu helfen, indem beispielsweise zur Bewältigung die notwendigen beruflichen Freiräume geschaffen werden, dann trägt das dazu bei, dass sie motivierter und leistungsbereiter sind.

Kathrin Neumüller: Welche Ratschläge kannst Du unseren Leserinnen und Lesern geben, um ihre Führungskompetenzen zu verbessern?

Stefan Regli:

  • Zeige echtes Interesse an deinen Mitarbeitenden. Erfahre, wer sie als Menschen sind, was sie gerne tun und wo ihre Stärken liegen.
  • Übertrage Verantwortung und begleite sie auf diesem Weg. Gewähre ihnen dabei Freiräume.
  • Erkenne gute Leistungen durch ehrliches und positives Feedback an. Bei Bedarf solltest Du auch konstruktives, negatives Feedback nicht scheuen.
  • Bleib authentisch und sei Du selbst.

Kathrin Neumüller: Inwiefern ist gute Führung für Dich lernbar?

Stefan Regli: Gute Führung ist für mich ein kontinuierlicher Prozess, welcher stark mit Erfahrung zu tun hat. Um besser führen zu können, sollte man Erfahrung sammeln. Wir lernen sowohl von Fehlern als auch Fehlentscheidungen. Grundsätzlich ist vieles Trial-and-Error: Dinge auszuprobieren, Rückmeldungen entgegenzunehmen und den Mitarbeitenden bewusst Freiheiten und Verantwortung zu übertragen. Insbesondere das „Loslassen“ will gelernt sein. Als junge Führungsperson hatte ich persönlich den Anspruch, die Kontrolle zu behalten. Mit zunehmender Erfahrung habe ich gelernt, Verantwortung abzugeben und mehr Freiräume zu schaffen. Eine solide Vertrauensbasis zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden ist dabei unerlässlich. Führungspersonen mit mehr Erfahrung neigen dazu, ihren Mitarbeitenden mehr zu vertrauen als weniger erfahrene Führungskräfte.

Eine starke Vertrauenskultur als Grundlage der Zusammenarbeit gewinnt in Zeiten des Home-Office an weiterer Bedeutung. Mit dem Home-Office bzw. Smart Work sehen sich Führungskräfte in jüngster Zeit mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert: Remote führen. Das Führen auf Distanz wurde während der Covid-Pandemie zu einer grossen Herausforderung und ist es teilweise noch immer.

Kathrin Neumüller: Inwiefern ist ein intrinsisches Interesse am Gegenüber und dessen Wirklichkeit lernbar? Entweder man mag andere Menschen oder man mag sie nicht.

Stefan Regli: Ich stimme Dir in diesem Punkt zu. Daher sind nicht alle fachlich kompetenten Personen automatisch auch gute Führungskräfte. Ein guter Fachspezialist ist nicht zwangsläufig eine gute Führungskraft und umgekehrt. Es ist wichtig, dass Unternehmen in ihrer Personalentwicklung die Fähigkeiten jeder Person richtig bewerten und einsetzen.

Kathrin Neumüller: Inwiefern ist mangelhafte Leistung eines / einer Mitarbeitenden eine Folge von schlechter Führung?

Stefan Regli: Oft hängt die Nichterfüllung von Leistungserwartungen auch mit dem Erwartungsmanagement zusammen. Nur, wenn die Erwartungen einer Führungskraft klar definiert sind, kann von mangelnder Leistung gesprochen werden. Meiner Meinung nach gibt es keine grundsätzlich schlechten Mitarbeitenden, sondern nur solche, deren Fähigkeiten nicht optimal eingesetzt werden. Es ist die Aufgabe der Führungskraft, die menschlichen Ressourcen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden bestmöglich zu nutzen. In diesem Sinne gibt es keine guten oder schlechten Mitarbeitenden per se. Es sind wohl eher die Führungspersonen, die möglicherweise Schwierigkeiten haben, die Stärken ihrer Teammitglieder richtig zu erkennen und effektiv zu nutzen.

Diese Überlegung führt zu einem wichtigen Punkt in der Personalentwicklung: Es geht nicht mehr nur darum, Mitarbeitende zu finden, die exakt auf eine bestimmte Stellenbeschreibung passen. Vielmehr sollten wir angesichts des Fachkräftemangels darauf hinwirken, Menschen basierend auf ihren individuellen Stärken und Kompetenzen zu rekrutieren und einzusetzen. Dies bedeutet, dass wir uns von einer rein rollenbasierten Rekrutierung lösen und eher eine personenbasierte Herangehensweise verfolgen sollten, bei der die einzigartigen Fähigkeiten jedes Einzelnen im Vordergrund stehen.

Viele Unternehmen sind noch immer in traditionellen Rekrutierungsansätzen verhaftet: Sie suchen nach Bewerbern und Bewerberinnen, die exakt auf eine ausgeschriebene Stelle passen, statt den Fokus umzukehren. Mein Vorschlag wäre, die Suche auf Personen auszurichten, die zur Unternehmenskultur passen und deren Fähigkeiten und Kompetenzen mit den langfristigen Zielen des Unternehmens übereinstimmen. Anstatt Mitarbeitende eins zu eins zu ersetzen, sollten wir darüber nachdenken, wie ihre individuellen Stärken am besten genutzt werden können. Dieser Ansatz vermeidet Lücken, die entstehen, wenn sich Anforderungsprofile ändern oder bestimmte Kompetenzen zukünftig überflüssig werden.

Kathrin Neumüller: Wie stehst Du zu dem häufig geäusserten Vorwurf, dass die Generation Z unmotiviert oder sogar „faul“ sei, besonders im Hinblick auf die Zusammenarbeit in intergenerationalen Teams?

Stefan Regli: Es ist unangebracht, die Generation Z über einen Kamm zu scheren. Ihre Arbeitsmentalität mag sich von früheren Generationen unterscheiden, indem sie Wert auf ein ausgewogenes Berufs- und Privatleben legen. Dies führt oft zu einer Vorliebe für Teilzeitarbeit oder mehreren Beschäftigungen. Wir sollten diese Unterschiede nicht als Faulheit, sondern als andere Lebenseinstellung und eine veränderte Perspektive auf das Arbeitsleben interpretieren. Für Unternehmen bedeutet dies eine Anpassung im Talentmanagement. Die junge Generation betritt den Arbeitsmarkt mit einem frischen und erlebnisorientierten Ansatz. Sie suchen nicht nur nach einem Job, sondern nach Erfahrungen und Erlebnissen am Arbeitsplatz. Diese Erlebnisorientierung am Arbeitsplatz gewinnt zunehmend an Bedeutung. Ältere Generationen mögen das Home-Office bevorzugen, aber ich beobachte ein wachsendes Interesse der Generation Z, physisch ins Büro zu kommen und Erlebnisse zu haben.

Lesen Sie hierzu auch unseren Blogbeitrag zu Spannungen und Chancen beim Multigenerationen-Arbeitsplatz.

Kathrin Neumüller: Glaubst Du, dass wir auf eine Zweiklassen-Arbeitnehmer:innen-Gesellschaft zusteuern, in der einige viel Flexibilität und Freiheit geniessen, während andere stark an den Arbeitsplatz gebunden sind?

Stefan Regli: Die Arbeitswelt ist vielfältig. Mitarbeitende in der Produktion oder auf dem Bau können ihre Arbeit nicht von zu Hause aus erledigen. Dennoch glaube ich nicht an eine Zweiklassen-Gesellschaft. Viele Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, tun dies gerne und haben diesen Beruf bewusst gewählt.

Kathrin Neumüller: Was inspiriert Dich am Thema Führung?

Stefan Regli: Der Mensch inspiriert mich. Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Kompetenzen, welche Mitarbeitende mitbringen, inspirieren mich. Mich inspiriert es, als Führungskraft mit meinem Team zusammen etwas zu bewegen und Mitarbeitende mitzureissen, zu motivieren und zu begeistern. Es inspiriert mich, mit meinen Mitarbeitenden auf eine gemeinsame Vision hinzuarbeiten.

Kathrin Neumüller: Wie siehst Du die These, dass generative KI uns als Mitarbeitende überflüssig machen könnte?

Stefan Regli: Ich bin davon überzeugt, dass es gewisse Umstrukturierungen auf dem Arbeitsmarkt geben wird: Einige Berufe, die heute existieren, wird es morgen nicht mehr geben. Solche Verschiebungen sind allerdings nicht neu. Sie begleiten uns bereits seit Beginn der Digitalisierung. Die generative AI darf als weiterer Digitalisierungsschub verstanden werden. Ich bin davon überzeugt, dass es für viele Tätigkeiten zukünftig auch Menschen brauchen wird. Ich bin nicht der Meinung, dass AI alles vollständig ersetzen wird. Empathie und soziale Umgangsformen werden tendenziell wieder an Bedeutung gewinnen. Andere analytische Aufgaben können vermutlich mit generativer AI besser gelöst werden. Es wird auch eine neue Art der Führung erforderlich sein, die KI gezielt und sinnvoll in Geschäftsprozessen einbindet.

Kathrin Neumüller

Kathrin Neumüller

Dr. oec. HSG in Betriebswirtschaftslehre
Masterstudium in Sozialwissenschaften

Projektleitung, Consulting & Innovationsexpertin

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