Warum ist die menschliche Einschätzung im Rekrutierungsprozess auch in Zeiten fortschrittlicher KI-Technologien wichtig? Und wie beeinflusst künstliche Intelligenz die Rolle von Talentmanager:innen?
In ihrem Beitrag für die Fachzeitschrift personalSCHWEIZ diskutiert die ValueQuest Projektleiterin Dr. Kathrin Neumüller die Möglichkeiten und Grenzen der künstlichen Intelligenz im Recruiting.
Künstliche Intelligenz im Personalmanagement
Der Einsatz von KI in der Arbeitswelt ist nicht neu – insbesondere seit 2022 durch ChatGPT als prominentes Beispiel – und hat im Personal- und Talentmanagement, das sich mit der Akquise und Entwicklung von Talenten befasst, bereits breite Anwendung gefunden. KI ermöglicht es, aus einer grossen Menge an Bewerbungen schnell eine Vorauswahl zu treffen. KI-Systeme, die zwischen verschiedenen Kategorien unterscheiden, werden als diskriminative KI bezeichnet.
Generative KI-Modelle bieten über die klassische Datenanalyse hinausgehend neue Möglichkeiten, indem sie Inhalte wie Texte, Bilder und andere Medienformate generieren. Dies eröffnet ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Generierung von Stellenanzeigen oder die automatisierte Kommunikation mit Bewerber:innen.
Auf der Basis von Profilen potenzieller Kandidat:innen können massgeschneiderte Inhalte und spezifische Rückfragen generiert werden, was die Effizienz des Rekrutierungsprozesses steigert. Zudem könnten sogar auf spezifische Jobanforderungen abgestimmte Arbeitsverträge generiert werden, wenngleich hier rechtliche Aspekte zu beachten sind. Wichtig ist, dass der Einsatz von KI ethisch verantwortungsvoll und im Einklang mit rechtlichen Vorgaben erfolgt.
Der Einfluss von künstlicher Intelligenz auf das Personalmanagement
Die Integration von KI in das Bewerbungsmanagement- und E-Recruiting-Systeme nimmt zu. Positiv ist, dass nicht nur Grossunternehmen, sondern auch KMUs zunehmend Zugang zu fortschriftlichen Screening-Werkzeugen erhalten. Öffentlich zugängliche KI-Plattformen wie ChatGPT bieten die Möglichkeit, die Eignung von Bewerber:innen durch einen Vergleich von Stellenbeschreibungen mit Lebensläufen zu beurteilen. Diese Technologie ermöglicht eine schnelle, objektive und datengestützte Vorauswahl, die den Rekrutierungsprozess effizienter gestaltet und eine eventuell vorhandene Voreingenommenheit reduziert. Ein praktisches Beispiel ist die Nutzung von ChatGPT zur Erstbewertung von Bewerbungen, indem Lebensläufe im Kontext einer Stellenbeschreibung analysiert und die passendsten Profile einander tabellarisch gegenübergestellt werden. Solche Anwendungen unterstreichen das Potenzial generativer KI, grosse Bewerbermengen effizient zu verarbeiten. Wichtig dabei ist, den Datenschutz und die Vertraulichkeit zu gewährleisten und sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen der KI-Nutzung vertraut zu machen, bevor personenbezogene Daten in das KI-System eingespeist werden.
Aus 1000 Kandidat:innen werden 5
Die Nutzung von KI im Talentmanagement ist nur dann sinnvoll, wenn die zugrundeliegenden Prozesse bereits effektiv, wertschöpfend, strategie-, rechtskonform und diskriminierungsfrei sind. KI, insbesondere in ihrer generativen Form, kann zwar die Effizienz durch Automatisierung steigern, aber die Effektivität der Prozesse nicht notwendigerweise verbessern. Eine mangelnde Ausrichtung der HR-Prozesse an der Unternehmensstrategie kann durch den Einsatz von KI sogar zu verstärkten Fehlentwicklungen führen. Ein bekanntes Beispiel für die Risiken ist der Fall von Amazon im Jahr 2014, bei dem ein KI-gesteuerter Bewerbungsassistent systematisch Frauen und Menschen mit dunkler Hautfarbe benachteiligte und somit bestehende Diskriminierungen verstärkte. Dies zeigt, dass KI-Systeme existierende Vorurteile widerspiegeln und verstärken können (Groß 2023). Daher ist beim Einsatz von KI im HR-Bereich eine sorgfältige Prüfung ethischer, rechtlicher und kultureller Standards entscheidend.
Generative KI revolutioniert das Personalwesen, indem sie Routineaufgaben wie das Erstellen von Stellenanzeigen, das Sortieren von Lebensläufen und das Verfassen von Antwortnachrichten auf Bewerbungsgespräche automatisiert. Diese Automatisierung bedingt eine Verschiebung der Rolle von Talentmanager:innen – weg von operativen Aufgaben hin zu strategischen Aufgaben. Es wird immer wichtiger werden, die «richtigen» Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, welche zukunftsfähige Skills mitbringen und langfristig die strategische Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sichern.
Talentmanager:innen müssen also stärker denn je die Effektivität (die richtigen Dinge) ihres Handelns im Blick haben, anstatt sich auf die Effizienz (die Dinge beschleunigen) zu fokussieren.
Die Grenzen künstlicher Intelligenz
Der Verlust der menschlichen Ersteinschätzung durch den Einsatz generativer KI kann problematisch sein, insbesondere bei der Beurteilung schwer quantifizierbarer Bewerberkompetenzen. Bevorzugen Sie beispielsweise eine lernbereite und -fähige Kandidatin, die die Werte Ihres Unternehmens widerspiegelt, aber Ihrem Stellenprofil nur zu 75 % entspricht? Oder einen Kandidaten, dessen Qualifikationen zwar dem Stellenprofil entsprechen, der Ihre Unternehmenswerte jedoch weit weniger widerspiegelt? Bezüglich der Bewertung der Übereinstimmung von persönlichen Werten und Unternehmenswerten oder sozialer und emotionaler Kompetenzen stösst generative KI (bisher) an ihre Grenzen
Auch ist die Authentizität von Bewerber:innen und die Echtheit der Unterlagen zunehmend schwieriger zu bewerten, da KI-Systeme nur begrenzt zwischen echten und manipulierten Bewerbungen unterscheiden können. Welche Kandidatin hat möglicherweise bei ihrem Lebenslauf nachgeholfen? Bewirbt sich überhaupt ein real existierender Mensch auf die ausgeschriebene Position? Künstliche Intelligenz kann dabei nur bedingt weiterhelfen.
Ein technologischer Teufelskreis ergibt sich, wenn Stellenausschreibungen mit KI generiert werden und Bewerber:innen das Verfassen ihrer Bewerbungsunterlagen ebenfalls an die KI auslagern. Bewerber:innen richten ihre Unterlagen nicht mehr an Menschen, sondern an Algorithmen, indem sie spezifische Schlüsselwörter einsetzen, um die Systeme zu «überzeugen». Somit werden relevante Schlüsselwörter strategisch für das technologische Gegenüber platziert, um die Chancen auf eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch zu steigern.
Fazit
Unternehmen, die KI im Personalmanagement einsetzen, profitieren zwar von Effizienzsteigerungen, stehen jedoch auch vor rechtlichen Herausforderungen und Risiken. Es besteht die Gefahr, dass KI-Systeme bestimmte Bewerbergruppen aufgrund spezifischer Merkmale systematisch benachteiligen, was teilweise unbeabsichtigt durch in Algorithmen verankerte Voreingenommenheit geschehen kann. Obwohl Softwareentwickler:innen bestrebt sind, Diskriminierung durch Algorithmen zu vermeiden, ist eine vollständige Eliminierung solcher Muster nicht garantiert.
HR-Fachleute müssen sich dieser Problematik bewusst sein und deshalb regelmässige Überprüfungen der KI-Systeme durchführen sowie die datenschutzrechtlichen Bestimmungen, wie sie das seit September 2023 geltende Datenschutzgesetz vorsieht, strikt einhalten.
Quellen:
Groß, M. (2023). Künstliche Intelligenz im Personalmanagement – Goldrausch im Spannungsfeld optimistischer Softwareanbieter und skeptischer Personalmanager. In KI für das Gute (S. 203–239). Springer International Publishing. http://dx.doi.org/10.1007/978-3-031-22777-6_10
Postman, N. (2005). Amusing ourselves to death: Public discourse in the age of show business. Penguin.
Stanford University. (2023). Artificial Intelligence Index Report 2023. Stanford Institute for Human-Centered Artificial Intelligence (HAI). https://aiindex.stanford.edu/wp-content/uploads/2023/04/HAI_AI-Index-Report_2023.pdf