Im zweiten Teil des spannenden Interviews widmen sich unsere Projektleiterin Kathrin Neumüller und Eric Krapf der Frage, wie Unternehmen die Loyalität ihrer Mitarbeitenden steigern können.
Eric Krapf ist Client Advisor bei aspaara und zusammen mit Kathrin Neumüller Start-up-Experte an der ZHAW. aspaara ist ein 2015 gegründetes Unternehmen für künstliche Intelligenz mit Sitz in Zürich. Als offizielles Startup der Universität Zürich forscht aspaara mit der ETH Zürich und der ZHAW im Innovationscluster «Künstliche und Vernetzte Intelligenz». Dieser wird vom Bund finanziell mitunterstützt, um wissenschaftsbasierte Innovationen im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern.
Unternehmen erreichen Mitarbeiterloyalität durch Handeln, nicht durch grosse Sprüche
Kathrin Neumüller: Ich komme nun auf den Umbruch in der Arbeitswelt zu sprechen und habe eine Frage zur Mitarbeiterloyalität. Viele Arbeitgeber beklagen sich über die sinkende Loyalität ihrer Mitarbeitenden. Gleichzeitig behaupten Gegenstimmen, dass Arbeitgeber an diesem Problem Mitschuld haben, denn sie selbst sind den Mitarbeitenden gegenüber auch immer weniger loyal. Wie stehst du zu dieser Debatte?
Eric Krapf: Es ist eine relevante Debatte. Aber warum sollten Mitarbeitende ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal sein? Was ist Loyalität und wie entwickelt sich Loyalität? Loyalität hat viel mit persönlicher Beziehung zu tun und wird stark durch Verhalten getrieben – wie mit den Mitarbeitenden umgegangen wird. Arbeiten Menschen in einem Umfeld, in dem sie sich wertgeschätzt fühlen und eine Aufgabe haben, die sie gut bewältigen können und die sie gleichzeitig fordert, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterzuentwickeln, ist der Mitarbeitende in einer positiven Komfortzone. Bringen Unternehmen ihren Mitarbeitenden Wertschätzung entgegen, können sie die Mitarbeiterloyalität steigern und nicht durch gutes Marketing oder grosse Sprüche, Massagen und einen Chefkoch in der Kantine. Das sind eher Benefits, mit denen Unternehmen versuchen, mangelnde Grundlagen zu kompensieren.
Nun ist die Frage: Wie schaffe ich eine höhere Mitarbeiterloyalität in einer VUCA-Welt (Volatility , Uncertainty ,Complexity und Ambiguity) und insbesondere in einer Home-Office-Welt? Wie drücke ich Wertschätzung aus, wenn ich eine Person über Tage oder gar Wochen nicht sehe?
Kathrin Neumüller: Und was empfiehlst du an dieser Stelle?
Eric Krapf: Daran arbeiten viele Unternehmen und es gibt verschiedene Herangehensweisen. Zum Beispiel kann ich ein Planungssystem einführen, das die persönlichen Wünsche der Mitarbeitenden berücksichtigt. Das ist Wertschätzung durch Handlung. Worte sind nett, aber am Ende des Tages zählen die Taten und das Verhalten.
An dieser Stelle kommen wir zum zweiten Teil der Frage: Sind die Firmen ihren Mitarbeitenden gegenüber loyal? Es gibt viele gute Beispiele, ich denke da z.B. an eine Victorinox in der Schweiz, die immer loyal zu ihren Mitarbeitenden war und ist. Im Gegensatz dazu gibt es andere Unternehmen, die Mitarbeitende schlagartig über Nacht entlassen. Meines Erachtens wird hierbei die Wirkung auf die verbliebenen Mitarbeitenden oftmals unterschätzt. Den Mitarbeitenden wird vermittelt: Wenn wir euch nicht mehr brauchen, entlassen wir euch, unabhängig von einzelnen Personen / Situationen. An die verbleibenden Mitarbeitenden müssen klare Signale gesandt werden. Wenn diese Kommunikation nicht funktioniert, nimmt die Loyalität ab.
Kathrin Neumüller: Ich habe verschiedene Learnings mitgenommen: Zum einen hast du zwischen Hygiene- und Kürfaktoren differenziert. Wenn die Hygienefaktoren nicht stimmen, helfen auch Benefits (Kürfaktoren) nicht, die Loyalität zu halten. Und du sagtest, dass wir die Loyalität von Mitarbeitenden steigern können, indem wir eine positive Wohlfühlzone schaffen. Die von dir beschriebene Wohlfühlzone erinnert mich sehr an das Flow-Konzept des bekannten Forschers Mihaly Csikszentmihalyi. Flow befindet sich an der Schnittstelle zwischen Kontrolle über meine Fähigkeiten und Stimulation. Ich kann mich als Mensch mit meinen Fähigkeiten einbringen und gleichzeitig habe ich auch noch eine Art Forderung und Stimulation. Dies sind spannende Gedanken aus der Verhaltenspsychologie.
Guter Führungsstil beginnt bei der Erkenntnis, dass man als Chef:in nicht alles weiss
Kathrin Neumüller: Wir hatten bereits das Vergnügen, uns über Führung auszutauschen und ich durfte daraus viele spannende Inputs aus unserer damaligen Diskussion mitnehmen. Dementsprechend möchte ich dich heute gerne fragen: denkst du, dass gute Führung lernbar ist?
Eric Krapf: Ich bin der Meinung, dass gute Führung zu einem weiten Teil lernbar ist, da sie auch stark verhaltensabhängig ist. Jeder Mensch hat verschiedene Verhaltensmuster in sich und kann lernen, jene, welche in der Führung wirkungsvoller sind, dementsprechend in der Führung anzuwenden.
Kathrin Neumüller: Hättest Du Ratschläge für unsere Leser:innen, damit diese ihren Führungsstil verbessern können?
Eric Krapf: Guter Führungsstil bedeutet meines Erachtens, dass die Chefin / der Chef nicht immer alles selber weiss, sondern wirklich interessiert daran ist, was die Mitarbeitenden wissen und überzeugt davon ist, dass er / sie von jeder einzelnen Person in diesem Unternehmen etwas lernen kann. Jim Collins schreibt in seinem Buch „From Good to Great“, dass erfolgreiche Unternehmen Führungskräfte haben, die empathisch sind, weniger auf Selbstinszenierung gepolt sind und sich nicht in den Vordergrund stellen, sondern ihren Mitarbeitenden genügend Raum lassen.
Ist die Purpose-Debatte überflüssig und lenkt davon ab, was Mitarbeitende wirklich wollen: Förderung und Wertschätzung?
Kathrin Neumüller: Es wird zurzeit viel über Bedeutung, Sinnerfüllung, Sinnhaftigkeit oder Inspiration gesprochen. Diese Konzepte werden oft als Tools verwendet, Mitarbeitende zu mehr Leistung zu motivieren. Mir ist aufgefallen, dass es bei dieser Debatte meistens um White-Collar-Angestellte in Büros geht. Mittlerweile mangelt es allerdings an Verkaufsmitarbeitenden im Einzelhandel und an Lastwagenfahrern in der Logistikindustrie. Für mich scheint diese Debatte von Purpose und Sinnhaftigkeit vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels in weniger qualifizierteren Jobs eher absurd.
Ist Purpose und Sinnhaftigkeit den White-Collar-Mitarbeitenden vorenthalten? Entwickeln wir uns zu einem Zwei-Klassen-Arbeitnehmer-System hin, bei dem viel Aufwand für die White-Collars betrieben wird, während die Blue-Collar-Workers tendenziell aussen vorgelassen werden?
Eric Krapf: Eine Zwei-Klassen-Arbeitnehmer-Gesellschaft gibt es und gab es schon immer. Diese Debatte ist meines Erachtens in Europa jedoch weniger stark akzentuiert als in Amerika. Es gibt bei uns viele „fliessende“ Jobs. Ist eine Pflegefachfrau eine White-Collar-Workerin oder eine Blue-Collar-Workerin? Arbeitet sie mit den Händen oder arbeitet sie mit dem Kopf? Sie arbeitet nicht nur mit den Patient:innen, sondern erledigt auch viele administrative Arbeiten. Ein Schreiner, der typischerweise als Blue-Collar-Arbeiter gesehen wird, ist häufig mit Planung und Design beschäftigt. Wir können diese Unterscheidungen gar nicht mehr so klar treffen.
Natürlich gibt es tendenziell reine Blue-Collars (z.B. Kehrichtentsorger) und tendenziell reine White Collars (z.B. Universitätsprofessor:innen), welche kaum mehr Handarbeit machen. Diese Klassen wird es immer geben. Aber wie bedeutend sind sie? Ich bin der Meinung, dass der Respekt vor Menschen, die mit den Händen arbeiten, heute viel grösser ist als früher. Wir wissen heute, wie wichtig diese Arbeit für uns ist. Nichts, was wir physisch erleben, kann ohne Handarbeit oder maschinelle Arbeit durch Menschen entstehen. Die Entsorgung, die Lebensmittelversorgung, alles, was wir im Täglichen gebrauchen, wird von Menschen hergestellt, angeliefert, verkauft und eingeräumt.
Ich frage mich bei der Purpose-Diskussion, wozu sie dient und wohin sie uns führt. Früher haben Menschen gearbeitet, um Geld zu verdienen. Der Lohn ist auch heute noch einer der wichtigsten Beweggründe für viele Menschen, damit sie die Rechnungen bezahlen, die Familie versorgen und in den Urlaub fahren können. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Purpose-Diskussion eine Ersatz-Diskussion ist. Anstatt, dass Unternehmen eine Umgebung schaffen, in der die Mitarbeitenden gefördert und wertgeschätzt werden, kommt es zu einer Purpose-Diskussion: Wie können wir die Welt retten und diese zu einem besseren Ort für alle machen?
Kathrin Neumüller: Herzlichen Dank für deine einsichtsreichen Antworten zu den vielfältigen Themen. Ich freue mich auf weitere spannende Austausche.
Eric Krapf: Danke vielmals für das Gespräch, Kathrin, es hat Spass gemacht. Und danke für die qualifizierten und tiefgründigen Fragen.
Lesen Sie hier den ersten Teil dieses spannenden Interviews, bei dem es um die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf Mitarbeitende und Human Resources geht. Sie wollen keinen Beitrag mehr verpassen? Dann folgen Sie uns auf Linkedin.